Oddyssee von Tokyo nach Otsu


Freitag, der 14. April 2023, 22:30 Uhr. Ich steige in den Fernbus, der mich raus aus dieser stinkenden Stadt in ein neues Leben bringen wird. Die Nacht hüllt die Stadt in ein tiefes Schwarz, so schwarz wie ihre Zukunft. Im Bus fällt kein einziges Wort. Und doch weiß jeder, dass alle Passagiere das gleiche Schicksal teilen, wie man selbst. Namenlose Gestalten, die ihre Vergangenheit hinter sich lassen wollen, auf der Suche nach einer zweiten Chance. Der Fahrer schließt die Tür. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr. Sobald der Bus losfährt, beschleicht mich das unwohle Gefühl, dass sich das, was man in der Stadt aufgenommen hat, nicht so leicht abschütteln lässt. Der erste Stopp an der Raststätte beweist mir das Gegenteil. Zum Glück findet dieser bereits nach 90 Minuten statt, ich musste nämlich ziemlich dringend.

Tag 1-3: Nagano City

4:55 Uhr, Nagano Hauptbahnhof. Der Fahrer weckt mich mit einem sachten Klopfen gegen den Sitz. Dann konnte ich also doch irgendwann einschlafen, cool! Das erste, das mir nach dem Aussteigen auffällt, ist, dass Nagano von Bergen umgeben ist. Endlich wieder mehr Natur sehen! Die Stadt Nagano, nicht zu verwechseln mit Nagoya, befindet sich in der Präfektur Nagano, aber nicht verwechseln mit dem ebenfalls in Nagano gelegenen Nakano, welches wiederum nicht zu verwechseln ist mit dem Nakano in Tokyo. Planmäßige Ankunft war eigentlich erst um 5:05 Uhr, weshalb ich mir den Wecker für Punkt 5 Uhr gestellt habe, aber die 5 Minuten mehr Schlaf hätten den Braten auch nicht fett gemacht. Apropos fett: Ich habe Hunger! Noch hat alles zu und einchecken kann ich erst in zehn Stunden, also setze ich mich auf eine Treppe in der Bahnhofshalle und spiele Switch, bis es mir zu anstrengend wird. Das ständige Bimmeln irgendeines Signals in der Halle geht mir gewaltig auf den Nerv, aber wo soll ich sonst hin? Draußen ist es mir zu ungemütlich. Irgendwann ist es endlich 7 Uhr und Beck’s Coffee Shop macht auf. Ich bestelle mir ein leckeres Frühstück mit Kaffee. Die Sitze sind irgendwie nicht so bequem und außerdem ist es hier auch nicht wärmer als eben in der Halle… Eine Weile nach der Stärkung schließe ich die Hälfte meines Gepäcks in einen Spind am Bahnhof und breche nach draußen auf, hinein in den Nieselregen, um Naganos Innenstadt ein wenig zu erkunden. Viel zu sehen gibt es hier nicht. Schon bald habe ich mir einen ausreichenden Überblick verschafft und beschließe aus Langeweile, allein Karaoke singen zu gehen. Meine Stimme klingt grauenvoll, es macht aber trotzdem Spaß.

Anscheinend konnte man sogar eine echte Gitarre dazumieten, voll geil!

Danach gehe ich irgendwo essen, ich weiß schon gar nicht mehr wo, und versuche anschließend, die Zeit in Cafés totzuschlagen. Irgendwann sind aber von sämtlichen Geräten die Akkus zu schwach und in den Läden keine Steckdosen, was soll das? Also mache ich mich schon mal auf den Weg zur Unterkunft. Dort angekommen, muss ich noch eine halbe Stunde warten, bis ich einchecken darf. Schon von außen erkennt man, dass dort wohl das meiste im Do-It-Yourself-Stil selbstgebaut ist. Naja, immerhin günstig. In dem Moment kommt eine E-Mail, die mich darum bittet, meine persönlichen Daten einzugeben usw. Dort ist auch ein Video verlinkt, wie der Selbst-Checkin abläuft. Na toll. Ich bin in letzter Zeit etwas verschwenderisch mit meinem Datenvolumen umgegangen und muss jetzt sehr sparsam sein, wenn ich die kommende Woche überleben will. Außerdem bin ich sowieso schon genervt. Wahrscheinlich wegen der Müdigkeit. Glücklicherweise erscheint kurz darauf der Eigentümer der Bude und lässt mich rein, sodass ich das WLAN nutzen kann. Das Interior bestätigt meinen ersten Eindruck, vor allem die in den Schlafkabinen angebrachten Vorrichtungen für das Gepäck. Diese kann man zwar abschließen, allerdings muss man dafür sein eigenes Schloss mitbringen. Und diese Info bekommt man erst eine halbe Stunde vor Check-in, na danke. Wären wir nicht in Japan, wäre das ziemlich beschissen, aber hier ist die Kriminalitätsrate sehr gering, deshalb kann man sein Zeug auch ruhig mal in seiner Schlafkabine liegen lassen, ohne dass es geklaut wird. Jedenfalls ist mein erster Eindruck von der Bleibe nicht besonders gut (trotz des coolen ausklappbaren Tisches in der Kabine), weshalb ich ernsthaft in Erwägung ziehe, am nächsten Tag woanders zu übernachten, trotz zusätzlich anfallender Kosten. Während ich nach Unterkünften suche, höre ich die ersten Leute schnarchen… Moment, was? Es ist 18:30 Uhr! Hallo!? Bevor ich jedoch etwas vorschnell buche, gehe ich erst mal was essen. Zwei mal hintereinander. Erst im Mos Burger, danach in einem japanischen Restaurant, dessen Essen echt lecker ist und vor allem ausreicht. Kaum bin ich pappsatt, sieht die Welt schon wieder viel besser aus. Nagano ist zwar immer noch langweilig, aber die Unterkunft ist vielleicht doch gar nicht so übel. Bei der Rückkehr dorthin unterhalte ich mich sogar kurz mit dem Eigentümer, der an dem Abend hinter der Bar steht. Nach einer ausgiebigen Dusche falle ich tot ins Bett.

Die erste Nacht war deutlich angenehmer, als gedacht. Es ist zwar sehr hellhörig dort, aber die Zimmergenossen waren extrem leise. Ich habe locker über zwölf Stunden geschlafen. Der Schlafmangel der letzten zwei Wochen musste wohl doch noch ausgeglichen werden. Da es nun aber schon mittags ist, wird aus dem ursprünglich geplanten Wandertag wohl nix. Allein der Hinweg würde schon eine Stunde dauern, vorher noch essen und Proviant kaufen, da geht die Sonne ja unter, kaum dass ich losgelaufen bin. Vielleicht ja morgen. Da Nagano ansonsten aber nicht so viel zu bieten hat, sitze ich den ganzen Tag im Café und schreibe bis abends am Blog (daher auch so viele breitgetretene Einträge hintereinander xD). Der Melon Frappuccino von Starbuck’s ist echt lecker… Und Starbuck’s ist hierzulande wenigstens ein Bisschen günstiger als in Deutschelande. Nach einem fettigen Abendessen kehre ich zurück in meine Gemächer und lege mich auf einen konkreten Wanderspot fest. Zwar ist der nächste Tag gleichzeitig der Tag meiner Weiterreise, aber das mit dem Gepäck krieg ich schon geschaukelt, dafür gibt es genug Optionen.

Montag, 7:00 Uhr früh. Mein Wecker klingelt. Ich bin frühes Aufstehen nicht mehr gewohnt. Trotzdem habe ich Bock, ENDLICH wieder wandern zu gehen! Nach einem kurzen Blick auf die Wettervorhersage werde ich allerdings enttäuscht: Schweinekalt und Regenwetter. Mit einem von beiden hätte ich ja noch fertig werden können, aber beides auf einmal ist mir dann doch zu ungemütlich, insbesondere, da ich nicht sooo warme Kleidung dabei habe. Sehr schade 🙁 Ich überlege, ob ich trotzdem schon mal aufstehen soll, mir fällt aber kein guter Grund ein, im Regen ausgerechnet durch Nagano (pfft!) zu laufen. Als ich gegen Mittag auschecke, ist es gar nicht am regnen. Die Sonne lacht mir entgegen! Aber kalt ist es schon. Oben auf dem Berg wäre es sicher noch kälter gewesen. Zwischenzeitlich wird es wärmer und ich ärgere mich, nicht einfach wandern gegangen zu sein. Jetzt ist es zu spät. Dann aber wird es wieder kälter, sodass der Ärger verfliegt. Viel hat die Stadt aber wirklich nicht zu bieten. Sie soll ganz gute Skigebiete in der Umgebung haben, aber die Saison ist vorbei. Da ich nicht KOMPLETT umsonst nach Nagano gefahren sein will, gehe ich zu dem nahegelegenen Tempel Zenko-ji, obwohl ich bekannterweise die Schnauze voll von Tempeln und Konsorten habe 🙄

Zugegebenermaßen übertreibe ich hier etwas. Der Tempel ist durchaus ok. Durch seine Größe und sein Alter wirkt er imposanter als die meisten Tempel in Tokyo. Darüber hinaus sind dort deutlich weniger Leute unterwegs 💁‍♂️ Und der Getränkeautomat spielt das Coca-Cola Jingle, wenn man sich eine Cola kauft. Nachdem ich die Tempelanlagen kurz überflogen habe, hole ich mir ein unerwartet leckeres Miso-Eis, das ich in der Sonne genieße. Im Anschluss bewege ich meinen fetten Hintern zum Bahnhof, um den Zug Richtung Matsumoto, meinem nächsten Ziel, zu nehmen. Komischerweise kommt man hier nicht mit der Pasmo-Karte durch die Gates, weshalb ich mir ganz altmodisch ein Zugticket ziehen muss. Hinterwäldler… Im Zug gibt es sogar eine Fahrkartenkontrolle! So erfahre ich, dass ich noch ein zusätzliches Ticket benötige, da es sich um einen Expresszug handelt. Google hat mich angelogen!

Nagano insgesamt war gar nicht mal so berauschend. Klar habe ich das Beste verpasst, aber es war gleichzeitig auch fast das einzig Gute… Wären die Wanderrouten nicht so schwierig zu erreichen, hätte es vielleicht noch was werden können, aber so… Naja, so hatte ich wenigstens keinerlei Ablenkungen von meinem Blog.

Tag 3-4: Matsumoto

Am Nachmittag von Tag 3 im ca. eine Stunde entfernten Matsumoto angekommen, setze ich mich zur Abwechslung erstmal in ein Café– Scheiße verdammte, jetzt gerade in dieser Sekunde fällt mir ein, dass ich ja eigentlich heute Matsumoto Castle angucken wollte, damit ich morgen ganz vielleicht doch noch wandern gehen kann… Ahhhh fuck!

Okay, falscher Alarm. Zum Wandern ist es heute (am nächsten Tag) eh viel zu kalt. Ich habe wirklich nicht mit solchen Temperaturen gerechnet. Naja, weiter im Text, zurück zum Vorabend.

Die zwei beiden, denen die Unterkunft gehört, sind echt nett. Nachdem ich mein Gepäck in meinem Einzel(!)zimmer abgeladen habe, gehe ich unten im dazugehörigen koreanischen Restaurant essen. Wahnsinnig lecker! Nicht unbedingt günstig, aber ich bin im Urlaub, von daher in Ordnung. Auf Empfehlung der Besitzer gehe ich nach dem Essen zum Matsumoto Castle. Auf dem Weg dorthin bemerke ich, dass die Stadt auf jeden Fall schonmal schöner ist als Nagano City. Als ich am Schloss ankomme, bin ich sprachlos. Der Anblick bei Nacht ist der Hammer und es herrscht eine mystische Atmosphäre.

Die Nacht kommt und geht, ehe ich mich versehe. Netterweise darf ich mein Zimmer bis nach der eigentlichen Uhrzeit des Checkouts behalten, sodass ich ohne Gepäck herumlaufen kann. Ich spaziere ein wenig durch Matsumoto herum; am kleinen Fluss entlang und durch eine kleine Einkaufsstraße. Tagsüber darf man das Schloss gegen eine Eintrittsgebühr betreten. Auf jeden Fall interessant, so ein Gebäude mal von innen zu sehen!

Übrigens darf man das Schloss nicht mit Schuhen betreten, was auf die Dauer für kalte Füße sorgt.

Da ich noch etwas Zeit habe, bevor mein Bus nach Nagoya abfährt, entspanne ich noch kurz in meinem Zimmer und gehe danach Karaoke singen. Viel mehr kann man in Matsumoto leider auch nicht tun. Gefällt mir aber trotzdem sehr viel besser als Nagano. Die Busfahrt nach Nagoya dauert dreieinhalb Stunden. Genug Zeit, um aus dem Fenster zu starren und nichts zu tun.

Es gab mal eine Froschart, die ausschließlich in Matsumoto heimisch gewesen ist. Deshalb ist der Frosch das Wahrzeichen dieser Stadt.
Diesen traumatisierend gruseligen Igel (?) habe ich in Japan schon öfters zu Gesicht bekommen.
Tag 5: Nagoya

Heute treffe ich mich mit meinem alten Sprachtandem-Partner, denn dieser wohnt in Nagoya (nicht zu verwechseln mit Nagano). Da die erste Nacht im Hostel nur so lala gewesen ist (wie soll das erst im Hostel am See werden…), verschiebe ich den Zeitpunkt unseres Treffens um eine Stunde nach hinten und schlafe dafür etwas länger. Wir besuchen das Schloss Nagoya, das größer als das in Matsumoto ist. Als wir das Gelände betreten, müssen wir jedoch leider feststellen, dass man die eigentlich interessanten Gebäude zur Zeit nicht betreten kann. Schade. Zum Glück hat er den Eintritt bezahlt. Anschließend gehen wir Tonkatsu essen und machen uns auf den Weg zum Science Museum, das ganz in der Nähe von meiner Unterkunft liegt. Nicht nur ist dieses eher an eine jüngere Generation gerichtet, die Tafeln sind auch noch allesamt auf Japanisch. Doch es beherbergt ein sehr großes Planetarium, das man derzeit allerdings – war ja klar – wegen Wartungsarbeiten nicht betreten kann. Schade. Zum Glück hat er den Eintritt bezahlt.

Genkidama

Nach einem kurzen Spaziergang inklusive Kaffeepause durch Osu – dem Einkaufsviertel mit sehr vielen Yu-Gi-Oh Shops und anderen Second-Hand-Läden (bitte nicht verwechseln mit Otsu, wo ich erst noch ankommen werde) – gehen wir Vietnamesisch essen. Sehr scharf, aber sehr lecker! Und direkt danach saugeiles Eis mit Obst und süßen roten Bohnen im Sugakiya (nicht verwechseln mit Sukiya)! Zusammenfassend kann man sagen, dass wir sehr viel gegessen haben. Ein gelungener Tag also. Morgen geht es dann weiter nach Kyoto, dem letzten Zwischenstopp vorm Zielort.

Tag 6: Doch nicht Kyoto, sondern immer noch Nagoya

Letzte Nacht war nicht so Bombe. Die Kombination aus Kaffee, scharfem Essen und Bier hat meiner Verdauung offenbar nicht so gut getan und so verbrachte ich des Nachts eine gewisse Zeit auf dem Lokus, um mich des in meinem Verdauungstrakt hausenden Ungetüms zu entledigen. Dementsprechend unausgeruht bin ich nun, am nächsten Morgen. Daher entscheide ich mich dagegen, heute nach Kyoto zu fahren (und das Ninja-Museum auf dem Weg lasse ich auch sausen 😢) und bleibe stattdessen in Nagoya und schaue mir ganz gemütlich ein paar Yu-Gi-Oh Karten an. Da ich jetzt nicht wie geplant einfach bei meinen französischen Freunden in Kyoto übernachten kann, muss eine andere Bleibe her. Alternativ könnte ich eine Übernachtung sparen, indem ich den Nachtbus nach Kyoto nehme, was hingegen wieder mehr Schlafmangel nach sich ziehen würde. Zum Glück ergibt sich dann doch eine Alternative in Nishio, was zwar etwas ab vom Schuss liegt, aber definitiv die bessere Wahl ist.

Tag 7: Heute aber Kyoto (kurz) und Ankunft am See

Da ich die Fahrt nach Kyoto so günstig wie möglich haben will, muss ich mehrmals umsteigen. Mit dem ganzen Gepäck eigentlich etwas nervig, aber da ich jedes Mal einen Sitzplatz bekomme, ist das überhaupt kein Problem. Übrigens haben die Züge hier irgendwie „normale“ Sitze (d.h. Blickrichtung entweder in oder entgegen Fahrtrichtung), ganz wie dahoam. In Kyoto treffe ich mich kurz mit meinem französischen Kumpel und wir essen kurz zu Mittag, bevor er wieder los muss. Danach setze ich mich – Überraschung – in ein Café und schreibe an meinem Blog. Die häufigen Schreibeinlagen während des Trips sind der Grund dafür, dass der vorliegende Eintrag im Präsenz geschrieben ist, denn ich protokolliere die Ereignisse ja fast schon in der Sekunde des Geschehens. Anschließend fahre ich los in Richtung meiner Destination, dem Gasthaus am See. Und damit ist die Reise auch schon wieder zuende. Die Leute in den oben genannten Städten sind übrigens nicht weniger fashionable als in Big T. Nächstes Mal schreibe ich euch meine Eindrücke zur neuen Unterkunft und zum See usw. Bis dahin, genießt den Frühling!

Dieses Lied kenne ich durch eine meiner fantastischen Wanderkumpan*innen. Es erinnert mich daran, endlich mal Postkarten zu schreiben.

2 Antworten zu “Oddyssee von Tokyo nach Otsu”

  1. …und wieder mal mit Spannung gelesen.
    Bei manchen deiner Erlebnissen muss ich mal lachen aber danke für die schönen Eindrücke, die du mit uns teilst.🥰
    ☝Eine Frage hätte ich aber, und zwar: wieso hängt auf dem einem Tempel ein Banner mit Hakenkreuzen drauf…weisst du das zufällig???

Schreibe einen Kommentar zu Mum Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert