Jahresrückblick/Zwischenfazit


Werte Damen und Herren, geschätzte Kolleg*innen,

Das Jahr 2022 ist (schon seit vier Wochen) vorbei und ich möchte dieses Ereignis als Anlass dafür nutzen, meinen bisherigen Eindruck von Tokyos (und Warabis) Alltag wiederzugeben. Ich sage bewusst „Tokyo“ und nicht „Japan“, da ich schon mehrmals gehört habe, dass Tokyo sich vom Rest Japans unterscheidet. Inwiefern, ist mir zu Redaktionsschluss nicht bekannt, da ich ja die ganze Zeit eigentlich nur in Tokyo gewesen bin.

Korrekturen

In einigen Beiträgen habe ich unwissend Mumpitz erzählt oder etwas Wichtiges vergessen. Dies möchte ich an dieser Stelle richtigstellen.

Zigaretten-Drink: Es handelt sich hierbei lediglich um ein Kakaogetränk mit dem Geschmack von Cocoa-Zigaretten, die wiederum einfach nur eine Süßigkeit mit dem Aussehen einer Zigarette sind und sonst nichts mit echten Zigaretten zu tun haben.

Daibutsu-Statue/Trojanisches Pferd: Tatsächlich konnte man einst in das Innere der großen Buddha-Statue treten. Das ist erst seit Corona verboten.

Beer-Tasting auf der Arbeit: Voll vergessen zu erwähnen, auf der Arbeit durften wir Mitarbeiter 8 verschiedene Biersorten verköstigen, darunter durchaus interessante Geschmacksrichtungen wie Green Pepper und weitere, die ich vergessen habe. Obwohl Alkohokonsum hierzulande erst ab einem Alter von 20 Jahren erlaubt ist, durften auch meine U20-jährigen deutschen Kolleginnen mal kosten, „weil in Deutschland darf man das ja schon mit 16“. Erst vor kurzem wurde beschlossen, dass die Volljährigkeit hierzulande ebenfalls im Alter von 18 Jahren erreicht ist, allerdings betrifft dies nur unwichtige Dinge wie etwa das Wahlrecht. Alkoholkonsum bleibt trotzdem erst ab 20 erlaubt.

Damit ist dieses Segment beendet. Weiter mit dem nächsten Programmpunkt:

Toiletten

Japans (bzw. Tokyos) Ruf eilt ihm voraus, denn wer kennt nicht diese eine Galileo-Folge, in der sie über hochtechnologisierte, japanische Toiletten berichten. Es gibt so viele Modelle mit unterschiedlichen Sonderausstattungen, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll! Kennt ihr diese Lüftungen, die sich z.B. in WCs ohne Fenster befinden? Eine der Toiletten in unserem sharehouse scheint eine eigene kleine, eingebaute Lüftung in der Schüssel zu haben (zumindest klingt es so)! Und das obwohl ein Fenster im Raum vorhanden ist! Außerdem haben viele Toiletten beheizte Klobrillen. Unsere auch, weshalb ich der ein oder andere manchmal dazu verleitet wird, länger als nötig seine Zeit dort zu verbringen. Die meisten Kloschüsseln sind mit einem washlet ausgestattet, das einem das Arschloch sauberspritzt. Die Dinger haben meist erstaunlich viele Einstellungsmöglichkeiten, die ich aber kaum verstehe und deshalb lieber nicht ausprobieren möchte.

Sobald man die Klospülung betätigt, läuft der Wasserhahn automatisch. So wird Wasser gespart, denn der Spülkasten wird mit dem selben Wasser aufgefüllt, mit welchem man sich die Hände gewaschen hat. Apropos Klospülung:

Bei der Art und Weise, wie man die Spülung betätigt, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Modellen. Angefangen beim normalen Hebel (s. Foto oben), über Sensor-Automatik (erfordert Hinsetzen), bishin zu komplexem Bedienfeld (s. Foto unten) ist alles vertreten.

Ich will doch einfach nur runterspülen, Mann!

Auch das Auf- bzw. Zuklappen von Klodeckel und -brille erfolgt mancherörtchens per Knopfdruck. Bei all den verschiedenen Funktionen ist das einzige, was noch fehlt, eine integrierte Sortierfunktion für große und kleine Geschäfte. Dies erfolgt bedauerlicherweise immer noch per Hand.

das Volk Tokyos

Eigentlich kann man genauso schlecht allgemeingültige Aussagen treffen wie bei allen anderen Gesellschaften auch. Es gibt halt solche und solche Leute… Ein paar Muster zeichnen sich dann aber doch ab, die einem vermehrt auffallen. Was mir als Erstes aufgefallen ist: Die Leute hier sind fast ausnahmslos stylish oder sonst irgendwie gut gekleidet. Da komme ich mir in meiner Alltagskleidung ganz schön underdressed vor. Außerdem tragen hier die meisten Menschen auch draußen einen Mundschutz, aber das haben ja selbst vor Corona schon einige getan. In Restaurants und Geschäften wird man von den Mitarbeitern sogar einen Ticken höflicher behandelt, als ich es gewohnt bin. Dementsprechend muss ich bei meinem derzeitigen Job auch selbst höflicher sein, als ich und meine Mitmenschen es von mir gewohnt sind. Und dabei bekommt man in Japan noch nicht einmal Trinkgeld!

(╯‵□′)╯︵┻━┻

Mein persönliches Highlight jedoch ist der sehr hohe Anteil an Nichtrauchern. Und der rauchende Teil der Bevölkerung hält sich sogar an Raucherbereiche! Sacre bleu! :O Ohne irgendwem zu nahe treten zu wollen, ist das echt etwas, das ich in Deutschland vermissen werde 😅

Fraß & Co.

Hmm wo fang ich da an? Es gibt – wer hätte es gedacht- sehr viele Reisgerichte, aber auch viele suppige/nudelige Sachen. Bei so ziemlich ALLEN Lokalen bekommt man immer gratis Wasser oder (kalten) Tee, wenn man drinnen isst. Ich habe den Eindruck, dass die Portionen hier etwas kleiner sind, als beispielsweise in Deutschland, aber dafür ist es manchmal günstiger. Westliche Gerichte gibt es hier natürlich auch, allerdings schmecken diese meist anders als bei uns. Des Weiteren findet man häufiger Dinge mit nori (Algenblättern) oder mit nori-Geschmack, so z.B. Pringles (sowohl diese als auch die mit schwarzer-Trüffel-Geschmack fand ich nur so mittelmäßig). Süßigkeiten sind etwas teurer, und neben den normalen Sachen findet man auch z.B. Schokolade mit matcha-Geschmack (grüner Tee). Oh, fast vergessen: Der Gewinner der Kategorie „bester Snack“ ist… edamame! Das sind so grüne Bohnen, die es auch in deutschen japanischen Restaurants gibt. Sind schnell gemacht, lecker, gesund und relativ günstig. Einfach bombe! Früher mochte ich sie nicht, aber seit ich weiß, dass man die Schale nicht mitisst (danke nochmal für den Tipp), bin ich ein Riesenfan!

Einkaufen

In einer Millionenstadt wie Tokyo ist der Quadratmeter bestimmt nicht billig. Vielleicht sind deshalb so ziemlich alle Geschäfte (nicht nur für Lebensmittel) vergleichsweise eng, mit schmalen Gängen, dafür aber häufig mehreren Stockwerken. Womöglich ist es diesem platzsparenden Baustil geschuldet, doch in Supermärkten gibt es keine Rollbänder, sondern die Kassierer nehmen die Artikel aus deinem Körbchen und scannen sie Stück für Stück, während sie sie entweder in ein anderes Körbchen oder direkt in eine Plastiktüte packen (von denen es hier wirklich viel zu viele gibt, genauso wie Verpackungen… Aber ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen). Die Einkaufswagen fallen ebenfalls entsprechend klein aus. So etwas wie Großeinkäufe scheinen also eher unüblich zu sein. Ist aber nicht schlimm, da die meisten Geschäfte auch sonn- und feiertags geöffnet haben! Die Könige der Öffnungszeiten sind jedoch die konbinis. Diese haben nicht nur 24/7 geöffnet und neben diversen Lebensmitteln (hauptsächlich Fertiggerichte und Snacks) auch Büro- und Toilettenartikel im Sortiment, sondern punkten zudem durch ihre schiere Anzahl! In der Tokyoter Innenstadt z.B. findet man alle paar Meter einen von ihnen. Selbstverständlich gibt es dort nicht alles (Werkzeug, Handtücher, gesundes Essen usw. vermisst man dort), aber genug zum Überleben. Die Preise sind nur leicht teurer als im Supermarkt. Kein Vergleich also zu deutschen Tankstellenpreisen. In vielen Lokalen und konbinis kann man seine Bahn-Guthabenkarte als Zahlungsmittel verwenden, während Bargeld häufig von Kassenautomaten gezählt wird. Eines von diesen berüchtigten unbemannten Geschäften habe ich allerdings noch nirgends gesehen. Lediglich die ganzen Getränkeautomaten an jeder Ecke.

Öffis

Etwas, das ich an öffentlichen Verkehrsmitteln in Tokyo mag, ist die bequeme Bezahlung per Guthabenkarte. Man muss sich nicht erst damit befassen, welches Ticket man braucht, sondern hält einfach seine Karte an das Ticketgate und der Ticketpreis wird automatisch abgezogen. In manchen Fällen kann es dennoch sinnvoll sein, sich ein separates Ticket zu kaufen (wie z.B. beim Hakone-Free-Pass! Jetzt zuschlagen!). Bahnfahren ist im Allgemeinen leider auch hierzulande nicht soo günstig. Die Bahnhöfe an sich variieren in ihrer Größe und Komplexität. Je größer der Bahnhof, desto verwinkelter und labyrinthartiger ist er auch. Zum Glück ist alles ausreichend und auch auf Englisch beschildert. An den Gleisen befinden sich häufig Geländer mit elektronischen Toren und der Zug hält präzise so, dass die Position seiner Türen mit denen am Gleis übereinstimmt. Hin und wieder wird an den Gleisen weißgottwieso Vogelgezwitscher über die Lautsprecher abgespielt. Apropos Bahn: Insbesondere zur Rush Hour und an Wochenenden abends sind die Züge extrem überfüllt. Abgesehen davon ist es aber nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe.

Ein kurioses Ereignis: Damals auf meinem Weg zu TeamLab Planets nahm ich den Bus. An einer Haltestelle mussten alle Fahrgäste aussteigen und diejenigen, die weiterfahren wollten, wieder einsteigen. Es gab keinen Buswechsel, keinen Fahrerwechsel, man musste auch nicht nochmal bezahlen oder so. Es stiegen lediglich neue Fahrgäste zu, wie an einer ganz normalen Haltestelle eben. Bisher ist mir das nur ein einziges Mal passiert und niemand konnte mir erklären, warum.

sonstiges

Ich wurde schon des Öfteren gefragt, was denn für mich der größte Kulturschock war, als ich nach Japan gekommen bin. Ich bin mir nicht mal sicher, was genau ein Kulturschock ist, aber wenn ich mich entscheiden müsste, wären folgendes meine Top 4:

PLATZ 4:

Dass in der Bahn kaum gesprochen wird, um andere Fahrgäste nicht zu belästigen.

PLATZ 3:

Die Tatsache, dass viele der Parks Öffnungszeiten haben.

PLATZ 2:

Dass es NIRGENDS vernünftige Taschentücher zu kaufen gibt!!! Das kann doch nicht sein! Ich nehme mir immer ein paar kleine Servietten aus Restaurants etc. mit, weil die handelsüblichen Taschentücher meist schon reißen, wenn man sie aus der Verpackung nimmt! Kein Witz! Zum Glück ist das bei den Kondomen anders… Allerdings kann das Naseputzen damit sehr schnell sehr teuer werden.

PLATZ 1:

Wäsche waschen. Es ist kein Spaß. In Japan wird ausschließlich kalt gewaschen (30°). Sämtliche Waschmaschinen in Waschsalons und vielen Unterkünften haben nur ein einziges Waschprogramm. Die Waschmaschine in meinem jetzigen sharehouse bietet zwar eine ganze Reihe an Einstellungen und Programmen, jedoch wäscht auch sie nur kalt. Hinzu kommt noch der Platzmangel fürs Aufhängen. Dadurch muss man öfters waschen, anstatt viel auf einmal. Und irgendwie leiern die Klamotten sauschnell aus 🙁 Ein Problem, über das ich mich schon mit mehreren Work & Travellern ausgetauscht habe. Weiß jemand, woran das liegt?

Ansonsten gibt es hier ganz schön viele Tempel und Schreine, sowohl in als auch außerhalb der Stadt. Das Internet ist günstiger als in Deutschland (Überraschung), ich bin hier größer als der Durchschnitt, es herrscht Linksverkehr und in den Stadtzentren sieht man manchmal hell erleuchtete Werbe-LKWs (heller als der Coca-Cola-Truck) herumrollen, die übertrieben laute Musik aus ihren Lautsprechern ballern.

Zusammenfassung

Die Zeit in Japan verbringe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Klar, ist schon ganz cool hier, aber so krass viel erleben tu ich auch wiederum nicht. Das, was ich in den letzten drei Monaten unternommen habe, hätte man genauso gut in zweieinhalb Monaten machen können. Und wenn ich bedenke, was ich dafür aufgegeben habe, um hier zu sein… Meine Wohnung (😢) habe ich gegen ein Bett in einem sharehouse eingetauscht, meinen (fast) sicheren Job gegen einen unterbezahlten Gastro-Job, Zeit mit Freunden gegen meist flüchtige Bekanntschaften. Aber gerade deshalb will ich das Beste daraus machen und versuche, das komplette Jahr durchzuziehen. Ob mir das gelingen wird, ist allerdings eine andere Frage 😀

Ich mag Paramore noch nicht einmal, aber das Lied ist groovy!

Eine Antwort zu “Jahresrückblick/Zwischenfazit”

  1. Wow, ich habe eine ganze Menge anzumerken:

    1: Der Wasserstrahl für den Hintern wurde von Etienne von Rocketbeans TV auch „Kimmenkärcher“ genannt.

    2: Zum Thema Mundschutz: Eines Abends in Warabi lief ein Mensch mit Mundschutz an mir vorbei, der 1. draußen 2. auf einer menschenleeren Straße 3. am joggen war. Das fand ich dann doch etwas übertrieben.

    3: Dass man bei Barzahlung in konbinis das Geld in Automaten stopft, ist anscheinend erst seit Corona so!

    4: Die Beschilderungen in den Bahnhöfen sind nur MEISTENS ausreichend, besonders in Yokohama (u.a.) hatte ich massive Probleme, den Ausgang zu finden. Gleiches geschah auch in einem Einkaufshaus in Hiroshima.

    5: Dass man von Bahnmitarbeitern in den vollen Zug gedrückt wird, damit die Türen sich schließen können, habe ich glaube ich nur ein einziges Mal erlebt. Vermutlich passiert dies nur zu ganz bestimmten Zeiten an ganz bestimmten Halten ganz bestimmter Linien.

    6: Brauchbare Taschentücher gibt es im Daiso! (Ramschladen)

    7: Das Internet in Japan ist zwar günstiger, aber meist tatsächlich langsamer. Damit hätte ich nicht gerechnet.

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